Ministerin Aigner knickt vor ewiggestrigen Bremsern ein

Bundesregierung ist nun Schlusslicht in der Jagdpolitik

Kürzlich wurde vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ein „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften“ übermittelt. Im Anschreiben vom 27. November 2012 stand einführend „Der Gesetzentwurf ist mit den Bundesressorts abgestimmt.“ Zweck des Gesetzes war die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Zwangsmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften.

Die Reaktion auf die Vorgaben des EGMR war von der Absicht getragen, die Möglichkeit zum Ausscheiden aus der Jagdgenossenschaft sehr eng zu definieren und viele zu berücksichtigende, hindernde Belange auszuweisen, z.B. auch „des Schutzes der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft vor übermäßigen Wildschäden“ oder des „Naturschutzes und der Landschaftspflege“. „Die Befriedung kann räumlich auf einen Teil der Antragsfläche sowie zeitlich beschränkt werden“ oder „Die zuständige Behörde kann eine beschränkte Jagdausübung auf den für befriedet erklärten Grundflächen anordnen, soweit dies zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden … erforderlich ist … Kommt der Grundeigentümer der Anordnung nicht nach, so kann die zuständige Behörde für dessen Rechnung die Jagd ausüben lassen.“ waren weitere mögliche Einschränkungen. Der Entwurf des neuen § 6a geht sogar so weit, dass der ausgetretene Grundeigentümer den Wildschaden der Jagdgenossen unter bestimmten Voraussetzungen anteilig zu ersetzen hat, auch die Wildfolge bleibt bestehen. Der ÖJV, der eine effiziente Jagdausübung insbesondere zur Entwicklung naturnaher, klimaplastischer Wälder für zwingend erforderlich hält, kann mit diesen Regelungen leben.

So weit, so erwartungsgemäß – auch wenn nach den Erläuterungen der abzuwägenden Belange eine Gefährdung z.B. vorliegt, „wenn die Befriedung die Durchführung einer Bewegungsjagd im betroffenen Jagdbezirk unzumutbar erschweren würde. Denn ohne Bewegungsjagd lassen sich die dem Gemeinwohl verpflichteten Ziele der Jagd nicht erreichen.“ Eine für das BMELV durchaus progressiv zu nennende Äußerung.

Doch nach dem § 6a wurde eine Änderung des § 28 ergänzt: „(5) Die Fütterung von Wild ist verboten. Die zuständige Behörde kann eine beschränkte Fütterung anordnen, soweit dies zur Vermeidung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.“ Und in einem neu angefügten Absatz 6 wird die Verabreichung von Arzneimitteln und Aufbaupräparaten nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörden gestattet.

In den Erläuterungen dazu sind jetzt aus dem BMELV gänzlich neue, völlig unerwartete Töne zu vernehmen: „Fütterungen sind aus biologischer Sicht nicht sinnvoll, da beispielsweise Rehe im Winter über entsprechende Anpassungsmechanismen verfügen. Die Fütterung führt zu unnatürlich hohen Wildpopulationen mit der Folge erhöhter Risiken für Wildschäden. Nur unter besonderen Umständen … kann eine Fütterung gerechtfertigt sein. Durchschnittliche winterliche Verhältnisse allein reichen dazu nicht aus.“ und „Die Verabreichung von Arzneimitteln … an Wild dient grundsätzlich dazu, dessen Gesundheitszustand nach menschlichen Maßstäben zu verbessern. Dies trägt zu höheren Wildpopulationen bei und geht mit einer Gefährdung von öffentlichen Belangen, wie einem erhöhten Risiko von Wildschäden einher. Außerdem konterkariert die Medikamentierung die gewünschte natürliche Auslese.“

Stellen die vorgenannten Aussagen schon nahezu einen Paradigmenwechsel des in der Vergangenheit veränderungsunwilligen, Probleme hartnäckig verleugnenden Hauses dar, so mutet der folgende Satz aus dem Anschreiben völlig visionär an: „Darüber hinaus erfolgt in einem gesonderten Rechtssetzungsverfahren eine Änderung der Bundesjagdzeitenverordnung, in der – neben ohnehin 1:1 umzusetzenden Vorschriften zur Beschränkung der Jagd auf Heringsmöwe und Saatgans (Umsetzung des AEWA-Abkommens) – die Verlängerung der Jagdzeit auf den Rehbock bis zum 31. Januar eines Jahres vorgesehen ist.“

Altgediente ÖJV-Aktive seufzten ergriffen „Dass wir das noch erleben dürfen“, die fortschrittlichen der angeschriebenen Verbände entwarfen bereits an Lobeshymnen erinnernde Stellungnahmen, da kam postwendend am 3. Dezember die Ernüchterung in Form einer Mitteilung des Staatssekretärs Robert Kloos höchstpersönlich: „Nach einer weiteren Abstimmung auf Leitungsebene wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf nun ausschließlich auf die zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte notwendigen Vorschriften begrenzen. Damit werden die Vorschriften bezüglich des Fütterungs- und Medikamentenverabreichungsverbotes sowie die für einen späteren Zeitpunkt geplante Änderung der Jagdzeiten nicht weiter verfolgt.”
Da fragt man sich, wer diese Leitungsebene ist und wo sie Ihren Sitz hat. Ist diese so plötzliche wie peinliche Sinnesänderung als Kniefall vor den ewiggestrigen Elementen der konservativen Jägerschaft zu sehen oder einer tief sitzenden Angst vor der eigenen Courage geschuldet? Ministerin Ilse Aigner schreckt bei der Einkassierung dieser sinnvollen und praxisgerechten Vorschläge angesichts der Lobby der retardierenden Kräfte und dinosaurierhaften Bedenkenträger vor keinem Gesichtsverlust zurück.

Die Möglichkeit, erste Bausteine einer notwendigen umfassenden Novellierung des jagdrechtlichen Rahmens umzusetzen, wurde vertan. Wir werden Zeugen einer betrüblichen Darbietung im jagdpolitischen Panoptikum eines desolaten und kraftlosen Ministeriums in einer ebensolchen Regierungskoalition. Dem Vernehmen nach hatte Umweltminister Peter Altmaier die Aufnahme der fortschrittlichen Regelungen im Interesse einer naturnahen Waldentwicklung veranlasst, leider fehlte ihm anscheinend der lange Atem, dies auch durchzustehen.

Die momentane Absage an eine bundeseinheitliche Neuregelung bedeutet natürlich keinen dauerhaften Stillstand bei der Weiterentwicklung des jagdrechtlichen Rahmens. Insbesondere die erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten auf Länderebene werden in Zukunft verstärkt genutzt werden. In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein werden derzeit ökologische Jagdgesetze erarbeitet, in Rheinland-Pfalz und Sachsen sind schon einzelne Verbesserungen vorgenommen worden. Die Bundesregierung und das BMELV werden von fortschrittlichen und pragmatischen Ländern derzeit links und rechts überholt und auf dem jagdpolitischen Abstellgleis landen. Von einer Meinungsführerschaft und Vorreiterrolle sind sie weiter denn je entfernt

Der ÖJV wird mit allen an einer zukunftsweisenden Regelung interessierten Kräften aus Waldwirtschaft, Naturschutz und Tierschutz zu sinnvollen Gesetzesnovellierungen beitragen.

Elisabeth Emmert, ÖJV-Bundesvorsitzende